Experten-Interview: Wo steht die Parkinsonforschung?
In den Selbsthilfegruppen und bei den großen öffentlichen Veranstaltungen wird immer wieder die Frage gestellt, wann es eine kausale Behandlung und damit eine Heilung beim Morbus Parkinson geben wird.
Für diesen Artikel haben wir Prof. Dr. med. Lars Wojtecki gefragt, wo die Parkinsonforschung heute steht.
Prof. Dr. med. Lars Wojtecki ist ärztlicher Direktor am Neurozentrum und Chefarzt der Klinik für Neurologie und Neurorehabilitation am Hospital zum Heiligen Geist GmbH & Co.KG, Kempen, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Düsseldorf, sowie Arbeitsgruppenleiter am Institut für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie der Universitätsklinik Düsseldorf.

Was wurde schon erreicht?

In den letzten Jahren ist es gelungen, die Symptome der Parkinsonerkrankung mit verschiedenen Therapien sehr gut zu unterdrücken. Das ist ein großer Fortschritt für die betroffenen Patienten, auch wenn die Schwankungen, etwa bei der Beweglichkeit, im Alltag sehr belastend sein können.
Insgesamt haben wir auch ein besseres Verständnis des Parkinson entwickelt und den Blick über die motorischen Symptome hinaus gelenkt.
Schlafstörungen, Schwierigkeiten beim Essen und gestörte Verdauung werden heute ebenso bei der Diagnostik und Therapie einbezogen wie psychische Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten.
Das ist sehr wichtig, denn die Lebensqualität der Patienten und ihrer Partner kann deutlich durch diese früher weniger beachteten Aspekte beeinflusst werden.
Woran arbeiten die Forscher aktuell?
Die Frage ist gar nicht so knapp zu beantworten und das ist eine sehr gute Nachricht. Fülle und Bandbreite der Forschungsansätze sind wesentlich größer geworden.
Überall auf der Welt laufen Studien und werden neue Ansätze diskutiert.
Zudem ist die Forschung immer enger vernetzt und profitiert so wechselseitig von ihren Erkenntnissen und schließlich stehen durch verschiedene Parkinson-Stiftungen und auch durch öffentliche Förderung mehr Forschungsmittel zur Verfügung.
- Neue orale Medikamente
- Nichtinvasive Neuromodulation
- Antikörpertherapien
- Bedarfsgesteuerte Hirnschrittmacher
- Erforschung der Krankheitsursachen
- Neue Pumpensysteme

Was wissen wir zur Entstehung der Krankheit?
Wir wollen vor allem besser verstehen, wie es zur Parkinsonerkrankung kommt, welche genetischen Dispositionen es gibt und wie es dann durch Lebensführung und Umweltfaktoren zu dem entscheidenden Anstoß kommt, der die Krankheits-Kaskade in Gang setzt.
Welche immunologischen Faktoren sind beteiligt und was trägt dazu bei, dass manche Menschen „besser geschützt“ sind als andere?
Und schließlich wirkt die Forschung heute stärker in den politischen Raum hinein und weist darauf hin, dass eine alternde Bevölkerung in Kombination mit mehr Umweltbelastungen zu einer Parkinson-Pandemie führen kann.
Ray Dorsey hat dies zusammen mit Kollegen in dem Buch „Schluss mit Parkinson“ (der englische Originaltitel lautet „Ending Parkinson´s Disease“) aufgezeigt und fordert Politik und Gesellschaft zum Handeln auf.
Umweltschutz ist in diesem Sinn immer Gesundheitsschutz, auch wenn die Frage nach den maßgeblichen Giften und Umweltfaktoren noch in der Diskussion ist.
Neue Therapieoptionen
In den letzten Jahren sehen wir Forschungen zu ganz unterschiedlichen Therapieansätzen, dadurch wird die Behandlung individueller und auch für seltene Parkinsonformen eröffnen sich Behandlungsmöglichkeiten.
Neue Substanzklassen für orale Therapien sind weltweit in der Zulassung und ein Teil davon wird auch in Deutschland verfügbar sein. Das ist besonders wichtig, wenn Patienten auf vorhandene Medikamente nicht ansprechen oder starke Nebenwirkungen zeigen.
Ein wichtiger Bereich ist die Stammzelltherapie, hier gibt es neue Studien aus Kanada mit ermutigenden Ergebnissen. Dann ist das Cannabinoid-System mehr in den Fokus gerückt und bietet neue Behandlungsmöglichkeiten.
Neue Pumpensysteme machen die Anwendung einfacher und die Dosierung, bzw. Aufnahme des Wirkstoffs im Körper präziser. Antikörpertherapien versuchen direkt am Alpha-Synuclein anzusetzen und so das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern.

Woran arbeiten Sie mit Ihrem Team?
Unser Team in Düsseldorf und Kempen arbeitet ja bekanntermaßen stark im Bereich der Neuromodulation, zu der die Tiefe Hirnstimulation THS gehört. Hier gibt es große Fortschritte hin zum „Bedarfsgesteuerten Hirnschrittmacher“, die Hirnströme werden ausgelesen und die Impulse des Hirnschrittmachers dann jeweils an die aktuelle Situation angepasst.
Daneben arbeiten wir an nichtinvasiven Verfahren der Neuromodulation, etwa der Magnetresonanz-geführten fokussierten Ultraschalltherapie.
Interessant ist auch die Pulswellen-Stimulation, die bei der Behandlung des Morbus Alzheimer bereits zugelassen ist und auch bei Parkinson wirksam scheint.
Insgesamt betrachten wir heute stärker die Hirnnetzwerkaktivität und analysieren diese Prozesse, die Hirnstrommessung wird dabei als Biomarker eingesetzt und erlaubt sehr präzise Rückschlüsse.

Wie sehen die Perspektiven aus?
Eingangs haben wir ja über die Fülle an Forschungsansätzen gesprochen, die es heute weltweit gibt.
Das macht es realistisch, in den nächsten 5 Jahren spürbare Fortschritte in der Behandlung des Parkinson zu erleben, vielleicht auch Ansätze einer kausalen Therapie.
Zugleich sehen wir in anderen Therapiegebieten, wie viele Hürden es auf dem Weg zu einer erfolgreichen Therapieeinführung gibt.
Mit Meilenstein-Durchbrüchen bei der Parkinsonbehandlung rechne ich in den nächsten 5 Jahren nicht.
Aber wer weiß, bei der Entwicklung der COVID-Impfstoffe haben wir sprunghafte Fortschritte gesehen, vielleicht wird das auch in anderen Indikationen möglich sein.
Zur Person
Prof. Dr. med. Lars Wojtecki ist ärztlicher Direktor am Neurozentrum und Chefarzt der Klinik für Neurologie und Neurorehabilitation am Hospital zum Heiligen Geist GmbH & Co.KG, Kempen, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Düsseldorf sowie Arbeitsgruppenleiter am Institut für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie der Universitätsklinik Düsseldorf.
Prof. Wojtecki ist spezialisiert auf die Behandlung von Bewegungsstörungen (z. B. Parkinson-Erkrankung), auf Kognitive Neurologie und auf Neuromodulation. Hierzu zählt z.B. die Tiefe Hirnstimulation („Hirnschrittmacher“), die Motorcortex-Stimulation aber auch nicht-invasive Verfahren und Neurofeedback.
Er ist ferner unabhängiger Berater im Bereich der Neurowissenschaften und Neurophilosophie.
Seit März gibt er im Neuro-Podcast „Planvoll & Neurotisch“ zusammen mit Prof. Martin Südmeyer aus Potsdam interessante Einblicke in die Welt der Neurologie.
Zu den Podcasts von Planvoll & Neurotisch

Buchvorstellung „Schluss mit Parkinson“
Ray Dorsey und seine Kollegen klären auf der Grundlage neuester Forschungsergebnisse nicht nur über die Auswirkungen von Giften auf unser Nervensystem auf, sondern über weitere Ursachen der Krankheit wie das Schädelhirntrauma, über Behandlungen mit Dopamin-Ersatz-Medikamenten, neue operative Möglichkeiten und berichten über bahnbrechende Erfolge mittels Bewegungstherapie.
Dieses Buch über die Parkinson-Krankheit versteht sich als ein Weckruf an Politik und Gesellschaft und zeigt zugleich Lösungswege auf, um die Lebensqualität der betroffenen Menschen zu verbessern.

Ray Dorsey, u.a. „Schluss mit Parkinson“
Erschienen im November 2021
ISBN-13: 978-3962572570
Das Buch mit 304 Seiten ist für 24,80 € im Buchhandel erhältlich.